Shark Island ist eine wunderbare Touristenattraktion, malerisch gelegen an der Atlantikküste Namibias. Reiseunternehmen schwärmen von der Tierwelt – Delfine, Flamingos, Seelöwen – und der Schwarzwälder Kirschtorte in Lüderitz, der Stadt auf dem Festland.

Bei der Berlinale 2023 konnte man sich ein anderes Bild von der Halbinsel machen: das eines Konzentrationslagers, in dem Gefangene der deutschen Kolonialtruppen an Hunger, Skorbut oder Schlägen starben. In dem Film Der vermessene Mensch des Regisseurs Lars Kraume endet eine der Hauptfiguren, eine junge Herero-Frau, auf der Haifisch-Insel, wo sie die Köpfe ihrer getöteten Landsleute auskochen und die Haut von den Knochen abziehen muss. Die Szene ist keine Horror-Vision, sondern deutsche und namibische Geschichte. Mehrere Tausend Schädel getöteter Einheimischer wurden damals nach Deutschland an medizinische Institute verschickt, um vermessen zu werden. Die wissenschaftliche Elite des Kaiserreichs wollte nachweisen, dass Schwarze kleinere Köpfe und Gehirne als Weiße hätten. Dass es also "minderwertige, primitive Rassen" gebe. Diese Ideologie ist heute aus allen wissenschaftlichen und staatlichen Debatten und Entscheidungsprozessen verbannt. Aus fast allen. Ausgerechnet in den Verhandlungen zwischen den Nachfahren der Täter und denen der Opfer über den Umgang mit kolonialen Verbrechen ist sie wieder aufgetaucht. Wie ein unzerstörbares Gift.